Woche 7: Zwischen Lockdown und Leadership
Reflektieren war gar nicht so einfach letzte Woche. Oder sagen wir es anders: Ich habe es nicht geschafft, meinen Fokus darauf zu richten, obwohl ich es vorhatte. Ich bin versunken in der Geschäftigkeit. Habe mich um das gekümmert, was dringend, und vielleicht nicht immer um das, was wichtig war. Und so streiften meine Überlegungen letzte Woche immer wieder das Thema Führung / Leadership – wie führe ich mich selbst? Und könnte ich – will ich jemand anders führen?
Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu Führung. Das liegt daran, dass ich schon immer ein bisschen aufmüpfig war. Ob zu Hause oder in der Schule – ich habe schon immer gerne widersprochen und konnte nicht viel damit anfangen, Regeln zu befolgen, die mir nicht sinnvoll erschienen. Als Schülerin habe ich schon auch schnell gemerkt, dass du dir viel rausnehmen kannst, wenn du zu den guten Schülern gehörst – und das habe ich manchmal ausgereizt. Nie bösartig oder so. Aber ich war – sagen wir es freundlich – eine Herausforderung. Das werden sicher auch meine Eltern bestätigen. Ein rhetorisch versierter Teenager, der einfach jede deiner Regeln infrage stellt, ist einfach anstrengend. Aber man wächst ja an seinen Aufgaben oder so…
In meiner Kindheit und Jugend argumentierte ich also gerne gegen diejenigen an, die eine Art Führungsrolle in meinem Leben hatten. Führung bedeutete für mich in dieser Zeit: Jemand anders sagt mir, was ich zu tun und zu lassen habe. Und das ließ sich schwer mit meinem Grundwert Unabhängigkeit vereinbaren. Als ich dann zu arbeiten anfing, lernte ich, dass Führung auch anders aussehen kann: Jemand anders hilft mir, mich zu entwickeln, und schwört mich auf ein Ziel ein. Aber mir begegnete auch immer noch oft genug das erste Verständnis von Führung – der Mikro-Manager.
Mein Haus, mein Auto, meine Mitarbeiter
Wenn man mich vor drei Jahren gefragt hätte, ob ich Lust habe, mal die “Führungslaufbahn” einzuschlagen, hätte ich ganz klar und ohne zu zögern geantwortet: Nein. Führungslaufbahn, das hieß für mich: Ellbogen ausfahren, die ersten Jahre sowieso der Depp vom Dienst sein, weil ich Druck von oben bekomme und versuche, den nicht ans Team weiterzugeben – oder eben doch. Jemandem beweisen, dass ich gut genug bin, andere Leute zu führen. Mich darüber definieren, wie viele Mitarbeiter ich habe. Statusdenken.
So ticke ich nicht. Ich denke mir: “Ich muss niemandem was beweisen!” (Da ist er wieder, der jugendliche Trotzkopf.) Ich möchte lieber fünf Mitarbeiter haben, die richtig Bock auf das haben, was wir tun, als fünfzig, die die Tage bis zum nächsten Urlaub zählen. Und den Mund halten, wenn Anweisungen von oben kommen, die ich nicht nachvollziehen kann, nur um nicht negativ aufzufallen und meine Karriere nicht zu gefährden? Spätestens an dieser Stelle der Erzählung könnt ihr euch vielleicht vorstellen, dass das für mich eine physikalische Unmöglichkeit darstellt.
Hobby-Bundestrainer und Hobby-Führungskräfte
Aber bin ich da nicht einfach unfair? Ich kenne doch selbst viele Führungskräfte, die anders sind. Und mache ich es mir nicht auch ein bisschen leicht, wenn ich sage: “Nö, ich probiere das gar nicht erst aus, ich nöle lieber aus meiner Position der Überlegenheit und bin fest davon überzeugt, dass ich es besser machen würde!”? Bin ich dann nicht auch einfach nur wie die 80 Millionen Hobby-Bundestrainer und Hobby-Virologen – sozusagen eine Hobby-Führungskraft?
Ich weiß es nicht. Aber der Gedanke beschäftigt mich. Nicht erst seit dieser Woche. Ich glaube, es fing im vergangenen Sommer an. Ich saß mit meinem Working Out Loud Circle auf meinem Balkon und wir unterhielten uns über schlechte Führungskräfte. Benni (Grüße!), der selbst einmal in einer Führungsrolle war, erzählte uns von den unangenehmen Seiten des Führens – wenn du die ernsten Gespräche führen musst, die niemandem Spaß machen. Und er warb für mehr Verständnis – oder zumindest den Mut, es selbst auszuprobieren.
Mikro-Manager vs. Teamcoach
Auch im Coaching kamen Steffi und ich direkt in der ersten Session auf das Thema Führung. Vielleicht, weil ich öfter in meinem Berufsleben Chefs hatte, die ich jetzt nicht uneingeschränkt weiterempfehlen würde. (Ich hatte auch einen hohen Verschleiß: In 9 Jahren Berufsleben hatte ich inzwischen 7 unterschiedliche Chefs.) Wir sprachen darüber, dass ich mich selbst nicht als Führungskraft sehe – und ich hatte dabei wieder mein erstes Verständnis von Führung im Kopf. Wenn führen aber bedeutet, jemanden mitzureißen, ein gemeinsames Bild in den Köpfen zu schaffen und mein Team dabei zu unterstützen, dorthin zu kommen, ohne ihnen zu sagen, was sie tun sollen – dann bin ich vielleicht doch eine Führungskraft.
Vielleicht ist es mein Bild von Führung, das sich ändern muss. Ich weiß ja, dass das Bild, das ich im Kopf habe, eigentlich eines ist, das die wenigsten von uns noch wollen – auch wenn es noch weit verbreitet ist. (Liebe Grüße an meine Oma an dieser Stelle, die mich immer noch ab und zu fragt, woher ich denn weiß, woran ich arbeiten soll, wenn mein Chef mir das nicht sagt.) Vielleicht kann ich dann wertneutraler an die Frage herantreten, ob ich andere führen möchte. Und vielleicht finde ich damit auch eine neue Herausforderung für mich.
Ich habe Zeit, darüber nachzudenken. Weihnachten werde ich nicht mit meiner Familie verbringen, weil ich mich damit nicht wohlfühlen würde. Wir skypen miteinander, aber wir werden es aushalten, ein Jahr mal nicht zusammen unter dem Tannenbaum zu sitzen – ich bin mir nämlich nicht sicher, ob Corona auch Weihnachten feiert. (Eigentlich ein schönes Bild: Lauter kleine Viren, die um einen Viren-Tannenbaum herum sitzen und Viren-Geschenke auspacken.) Jedenfalls ist das Positive daran, dass ich diesen Gedanken weiter nachhängen kann. So ein Lockdown hat manchmal auch was Gutes.