Woche 8: Eine Liebeserklärung

Woche 8: Eine Liebeserklärung

21. Dezember 2020 Aus Von Moni

Weihnachten steht vor der Tür. Das Fest der Liebe. Und obwohl (oder gerade weil?) ich Weihnachten dieses Jahr nicht mit meiner Familie verbringen werde, möchte ich heute eine Liebeserklärung schreiben – an meine Eltern. Weil ich ohne sie nicht da wäre, wo ich heute bin. Und weil ich ihnen viel zu verdanken habe.

Als ich in den letzten Wochen so über mich nachgedacht habe, habe ich auch meine Mama gebeten, mir vier Reflektionsfragen aus dem Buch “Connected Business” von Mounira Latrache zu vervollständigen:

  • Die Stärke, die ich an dir bewundere, ist…
  • Was ich an dir als Mensch schätze und liebe, ist…
  • Wie ich mich fühle, wenn ich bei dir bin, ist…
  • Die Art und Weise, wie du einen Einfluss in mein Leben ausübst, ist…

Anfang letzter Woche habe ich ihre Antworten bekommen – und habe geheult. (So, jetzt ist es raus – auch ich heule.) Ich war wahnsinnig gerührt und berührt. Manche Dinge, die sie geschrieben hat, habe ich so erwartet – aber es waren auch Sätze dabei, bei denen ich mir dachte: “Krass. Hätte gar nicht gedacht, dass sie das so mitbekommen hat.”
(Btw. Ich kann euch wärmstens empfehlen, diese vier Sätze einfach mal von ein paar Leuten aus eurem engeren Umfeld beantworten zu lassen – das ist wie Weihnachten und Geburtstag am selben Tag!)

Ich werde euch nicht erzählen, was sie geschrieben hat. Das ist dann doch eine Spur zu persönlich. Und wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich es so schön, dass ich es ganz für mich haben mag – ihr könnt euch mich jetzt vorstellen wie Gollum, der in seiner Höhle sitzt und “Mein Schaaaaaatz…” vor sich hin murmelt. Die Antworten drucke ich mir aus und lege sie mir selbst unter den Weihnachtsbaum.

Aber ich werde euch erzählen, was es in mir ausgelöst hat (außer dem Wasserfall von Rührungstränen). Ich habe natürlich in meinen letzten 33 Jahren oft über meine Eltern nachgedacht. Aber ich habe nie so richtig nachgefühlt. Im Laufe des Erwachsenwerdens war ich eher damit beschäftigt, mich abzugrenzen und darüber zu definieren. Jetzt habe ich darüber nachgedacht, welche meiner Stärken ich wohl von meinen Eltern übernommen habe. Und ich glaube, ich habe das Beste von zwei ziemlich beeindruckenden Menschen mitbekommen (okay, ich habe auch den Sturkopf von zwei ziemlich sturen Menschen mitbekommen, aber irgendwas ist ja schließlich immer 😉).

  • Meine Eltern sind mutig. Meine Mama hat als eine von zwei Frauen in den 70ern in Polen Maschinenbau studiert (mein Papa auch, aber nicht als eine von zwei Frauen 😁). Erinnert ihr euch? In meinem Blogpost über meine letzte Arbeitswoche habe ich aus meinem virtuellen Gästebuch die Passage “Im richtigen Moment auf Konventionen sch*ißen” hervorgehoben, weil ich mich darüber gefreut habe – ich finde, da hatte ich ein gutes Vorbild.
    Ach ja, und als wir 1988 nach Deutschland ausgewandert sind, waren meine Eltern kaum älter als ich – und sie haben mit zwei kleinen Kindern am Hals mal eben alle Zelte abgebrochen und sind ins ziemlich Ungewisse gezogen. Nicht, damit es ihnen besser geht, sondern damit mein Bruder und ich die besten Mögichkeiten und die freie Wahl haben, was wir aus unseren Fähigkeiten machen. Gänsehaut.
  • Meine Eltern haben mich gefordert. Mein Bruder und ich wurden früh zur Selbstständigkeit erzogen. Meine Eltern haben beide die meiste Zeit meines Lebens in Vollzeit gearbeitet, und mir hat nie was gefehlt. Sie waren trotzdem für mich da. Und ich hatte ja auch noch meine liebe Oma und meinen Bruder. Aber mit zwei berufstätigen Elternteilen hatte auch jeder seine Aufgaben: Eines meiner “Geschenke” zu meinem 10. Geburtstag war z.B., dass ich ab da jede Woche die Treppen wischen “durfte” 😁 Ja, ich habe geflucht. Ja, ich habe versucht, mich davor zu drücken. Ja, ich hasse Böden wischen bist heute (deswegen habe ich jetzt einen Staubsaugerroboter namens “Cleansi”, der mir das abnimmt!). Aber als ich mit 19 ausgezogen bin, war das für mich kein Schritt in eine unbekannte Welt. Ich konnte mich ernähren (kochen möchte ich das damals noch nicht nennen…), konnte meine Wäsche waschen, konnte mich finanzieren, konnte mich an der Uni um alle Formalitäten kümmern, konnte meine Steuererklärung machen. Ich konnte mit der großen Welt da draußen umgehen.
  • Meine Eltern haben mich gefördert. Nicht wie Helikoptereltern. Sie haben meine Stärken gefördert und mir vieles beigebracht. Als ich ausgezogen bin, konnte ich nicht nur Treppen wischen und kochen, ich konnte auch Glühbirnen wechseln und Möbel aufbauen. Mein Papa ist ein bisschen wie MacGyver – gib ihm einen Kaugummi und einen Kugelschreiber, und er baut daraus eine Bewässerungsanlage oder wahlweise auch einen Getränkekühler. Probleme wurden immer pragmatisch gelöst – und das habe ich mir abgeguckt. Die Lösungen, die dabei entstehen, würden möglicherweise nicht vom TÜV abgenommen werden – aber sie halten! (Und keine Sorge: Ich halte mich von Strom fern.)
    Gleichzeitig haben meine Eltern auch meine angeborene Neugier gefüttert – indem sie mich ermutigt haben, viel zu lesen, indem sie mit mir oft durch Europa gereist sind, indem sie mir immer wieder spannende Dinge gezeigt haben. Wie kann man da denn nicht neugierig werden?
    Und sie haben mich ermutigt, auf meine Fähigkeiten zu vertrauen – da war selten ein “Bist du sicher, dass du das kannst?”, sondern eher ein “Probier’s aus!”.
  • Meine Eltern haben mich meine Entscheidungen treffen lassen. Ich glaube, der Teil war besonders schwierig. Es fing an, als ich in der 9.Klasse UNBEDINGT Altgriechisch lernen wollte und nicht Französisch. Ich kann euch sagen: Französisch sprechen heute deutlich mehr Menschen als Altgriechisch. Aber ich wollte halt Altgriechisch lernen – da gab es mehr lüsterne, rachsüchtige und mordende Götter, das klang einfach spannender als “Arthur est un perroquet”…
    Oder als ich mein Theologie-Studium nach zwei Semestern abgebrochen habe, um Anglistik und Politikwissenschaften zu studieren. Wir hatten viele und langwierige Diskussionen darüber, ob man ein Studium abbricht oder nicht. Aber am Ende haben sie ihren Frieden damit gemacht. (Gut, die Entscheidung wäre vielleicht schwerer zu akzeptieren gewesen, wenn ich mich da nicht schon selbst finanziert hätte. Aber ich bin mir sicher, sie hätten mich auch dann unterstützt.)
    Oder als ich ihnen von meinem Sabbatical erzählt habe.Oder… oder… oder… Ich habe in meinem Leben einige Entscheidungen getroffen, die meine Eltern nicht nachvollziehen konnten. Aber sie haben mir vertraut. Und ich glaube, sie haben es fast nie bereut.

Dass ich mutig, selbstständig und pragmatisch bin, neugierig und lernwillig, hat viel damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin. Ich habe das oft als selbstverständlich hingenommen – ist es aber nicht.

Mama, Papa, ich weiß, dass ihr immer stolz auf mich wart (und seid). Auch wenn ihr euch manchmal fragt, was ich mir da schon wieder ausgedacht habe. Und ich sage es euch zu selten – deshalb jetzt hier schwarz auf weiß: Ich bin auch wahnsinnig stolz auf euch. Und ich liebe euch.

*micdrop*

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