Woche 10: Impfgeschichten

Woche 10: Impfgeschichten

4. Januar 2021 Aus Von Moni

Es ist Freitagabend, 18:15 Uhr. Neujahrsabend. Ich sitze gemütlich auf dem Sofa und will gerade eine Folge “Bridgerton” schauen, als das Telefon klingelt.


“Hallo Frau Struzek, Zentrales Impfzentrum im Robert-Bosch-Krankenhaus. Wie flexibel sind Sie denn? Könnten Sie morgen anfangen?”


Hell, yeah! Wenn ich eines bin, dann flexibel. Als die liebe Anja im Dezember die Ausschreibung für Aushilfen in der Verwaltung des neu zu errichtenden Zentralen Impfzentrums im Robert-Bosch-Krankenhaus auf Twitter teilte, zögerte ich nicht lange. Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich zu Beginn der Mission to Moni geschrieben hatte, dass ich in dieser Zeit auch etwas zurückgeben möchte, weil es mir so gut geht. Und als ich diese Ausschreibung las, hat es in meinem Kopf “pling” gemacht – hier war meine Gelegenheit. Okay, es ist nicht ehrenamtlich, ich werde dafür bezahlt, aber ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu unterstützen.

Welcome to VUCA!

Und so stehe ich also am Samstag um 12 Uhr vor dem Eingang des Zentralen Impfzentrums. Es ist alles noch ein wenig chaotisch, aber wen wundert das wirklich? Welcome to VUCA! Ich möchte nicht über Impfstrategien diskutieren und darüber, was so alles schief gelaufen ist und läuft – ich habe davon keine Ahnung. Und gleichzeitig: In kürzester Zeit ein solches Ding aus dem Boden zu stampfen, ist schon beachtlich, finde ich.

Immerhin bekomme ich meinen Arbeitsvertrag und ein Namensschild:

Ausweis, bitte!

Und dann geht es auch schon los: Den ganzen Tag über registriere ich die zu Impfenden, erfasse Daten, drucke Laufzettel, erkläre den Ablauf. Frage nach, wenn ich etwas nicht weiß. Alle sind wahnsinnig hilfsbereit, weil es für uns alle neu ist. Mit einer Woche Erfahrung zählt man hier zu den alten Hasen.

Behind the obvious

Was ich wirklich tue: Ich bin freundlich. Ich beruhige aufgeregte Impflinge. Ich versuche, einem unangenehmen Verwaltungsvorgang ein menschliches Gesicht und einen angenehmen Start zu verpassen. Ich versuche, ein Ruhepol in einer chaotischen Umgebung zu sein. Ich gebe Menschen, die nicht wissen, was sie erwartet, ein gutes Gefühl. Ich mache Späßchen, lockere die Situation auf. (Okay, ab und zu flirte ich auch mit einem jungen Arzt oder Rettungssanitäter, aber irgendwas muss ja für mich auch drin sein…)

Meine Schicht endet um 21 Uhr, bis ich dann tatsächlich zu Hause bin, ist es fast 22 Uhr. Und dann stehe ich auf meinem Balkon, rauche eine Zigarette – und habe ein breites Lächeln im Gesicht. Ich bin glücklich.

Was macht mich so glücklich?

Was war es an diesem Tag, das mich glücklich gemacht hat?

WERTSCHÄTZUNG. Von allen Seiten. Die Patienten, die Kollegen, die Schichtleitung – von allen Seiten erfahre ich Wertschätzung für das, was ich tue. Ich werde GESEHEN, obwohl ich die meiste Zeit in einer Kabine sitze. Wie ich das tue, wird geschätzt.

DANKBARKEIT. Die Menschen, die sich impfen lassen, sind oft von dem Prozess eingeschüchtert, haben Angst, was falsch zu machen oder was vergessen zu haben. Sie sind wahnsinnig dankbar, wenn man sie einfach menschlich behandelt und geduldig mit ihnen umgeht. Wenn man sie ernst nimmt.

TEAMWORK. Wir arbeiten alle zusammen, helfen einander, wo wir können. Weil es anders nicht gehen würde. Jeder teilt sein Wissen, ohne zu zögern. Keiner versucht, sich zu profilieren. Wir sitzen alle im selben Boot, das gerade durch ziemlich stürmische Gewässer paddelt, und wir rudern zusammen.

Was ich über mich lerne

Mir ist wieder bewusst geworden, dass ich mich in chaotischen Umgebungen richtig wohl fühle. Da, wo es herauszufinden gilt, wie alles funktionieren könnte – und nicht da, wo es seit Jahren einen (mehr oder weniger) funktionierenden Prozess gibt. Da, wo alle mit anpacken, einfach weil es gar nicht anders geht. Da, wo Entscheidungen jeden Tag aufs Neue getroffen und revidiert werden müssen, weil neue Erkenntnisse eintreffen. Ich komme damit gut klar, bin ein Ruhepol, auch wenn es um mich herum hektisch wird, und gebe anderen damit ein gutes Gefühl.

Und: Es gibt mir wahnsinnig viel, wenn ich das Gefühl habe, an etwas Gutem zu arbeiten. Dann kann ich auch stupide Daten in einem Formular erfassen. Ich bin eben doch ein kleiner Weltverbesserer.

Spread the love