Woche 14: Dilemma ist für Anfänger!
Dienstagabend schicke ich eine Sprachnachricht an meine Coachin Stefanie: “Hey Steffi, ich weiß, es ist ein bisschen kurzfristig, aber ich brauch deine Hilfe – können wir morgen in unserer Session über das Thema Entscheidungen reden? Ich stecke fest und weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll…” Und natürlich hat sie auch hier eine Methode parat: Dilemma kann ja jeder – aber hattet ihr schon mal ein Tetralemma?
Wenn Stefanie ihre Methoden einführt mit den Worten: “Aber du sagst Bescheid, wenn es dir zu ‘Om shanti’ wird”, dann weiß ich, gleich wird’s spannend. Um ein bisschen Schwung in die Kiste zu bringen und die Windstille zu beenden, bin ich bereit, zu außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen. In diesem Fall stehe ich nacheinander auf fünf Din A4-Blättern mit der Aufschrift “DAS EINE”, “DAS ANDERE”, “BEIDES”, “BEIDES NICHT”, “ALL DAS NICHT”. Diese Blätter stehen für die einzelnen Optionen, die sich in den letzten Wochen rauskristallisiert haben. Und anstatt alle Optionen rational zu durchdenken, fragt Stefanie mich, was ich denn FÜHLE, wenn ich mir die Situation vorstelle.
Das Eine
Ich gehe zurück zu Bosch. Das fühlt sich vertraut an, sicher. Für mich ist Bosch ein bisschen wie Familie: Man sucht sie sich nicht aus (ich hab mich nie bei Bosch beworben, bin über eine Zeitarbeitsfirma “reingerutscht”), aber die meiste Zeit mag man sie trotzdem. Und man möchte sie nicht im Stich lassen. Vielleicht auch wie der betrunkene Onkel an Weihnachten. Er benimmt sich daneben, aber man hat ihn halt trotzdem lieb. Und er macht ja auch viele wahnsinnig tolle und nette Sachen das ganze Jahr über!
Wir reden darüber, dass ich mir in den letzten 10 Jahren meine “Leuchtturmmenschen”, wie ich sie nenne, zusammengesammelt habe: Menschen, die aus der Masse herausragen und mir Hoffnung und Orientierung geben, wenn ich mal frustriert bin. Da weiß ich genau: Wenn ich mit einem von denen einen Kaffee getrunken habe, sieht die Welt hinterher wieder bunter aus. Denn es gibt richtig, richtig tolle Menschen bei Bosch. Und wir halten als eine Option fest, dass ich versuche, enger mit einem oder mehreren meiner Leuchtturmmenschen zusammenzuarbeiten.
Das Andere
So sehr man seine Familie auch mag – manchmal zieht man trotzdem für einen gewissen Zeitraum oder für immer in eine andere Stadt. Dieses Blatt steht für die Option, in einem anderen Unternehmen zu arbeiten. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit habe ich Stellenanzeigen gelesen. Weil ich meinen Blick nicht einengen möchte. Und ich war überrascht, dass ich doch einiges gefunden habe, was mein Interesse geweckt hat. Diese Option ist aufregend. Sie ist neu. Sie steht für die Möglichkeit, woanders nochmal neu anzufangen. Neu wahrgenommen zu werden. Neu gesehen zu werden. Hier bin ich ein unbeschriebenes Blatt. Und gleichzeitig ist sie auch furchteinflößend. Let’s face it: Ich habe mein ganzes Berufsleben bei Bosch verbracht. Ich weiß nicht, wie die Welt da draußen aussieht…
Beides
Bei Bosch arbeiten UND woanders arbeiten? Meine erste Reaktion ist Ablehnung. Dann arbeite ich ja nur noch! Aber dann merke ich, dass das eine Möglichkeit sein könnte, doch noch was Gutes zu tun. Momentan arbeite ich drei Tage pro Monat im Zentralen Impfzentrum. Warum nicht auch weiterhin so etwas tun? Das klingt für mich immer besser. Ich merke ja, wie happy es mich macht, was Gutes zu tun. Die Gänsehaut beim WOL #FrauenStärken Pitstop-Meeting, als mal eben der Spendenzähler für den Deutschen Kinderverein e.V. innerhalb von einer Stunde um 16.000 € nach oben gewandert ist – unbezahlbar! Die Papierblume, die ein älterer Herr mir am Samstag im Impfzentrum geschenkt hat, weil er sich gefreut hat, dass er geimpft wird – wunderbar! Davon will ich mehr – und warum sollte sich das nicht vereinbaren lassen?
Beides nicht
Welche Option gibt es, wenn ich nicht bei Bosch arbeite und auch nicht in einem anderen Unternehmen? Ich könnte mich selbstständig machen. Will ich aber nicht. Zumindest nicht alleine. So viel habe ich in den letzten Monaten schon herausgefunden. Ich möchte im Team arbeiten, mit anderen zusammen. Das ist einerseits Risikominimierung, andererseits macht es mir aber auch einfach viel mehr Spaß. Klar, man kann auch als Solo-Selbstständige kooperieren und kollaborieren. Aber mein Gefühl sagt mir, dass das nicht mein Weg ist. Aber vielleicht ja mit jemand anders zusammen…
All das nicht
Was bleibt sonst noch? Reich heiraten. Würde auch das Problem mit der Einsamkeit lösen! Vorschläge sind willkommen! 😁
Oder kulinarische Reisebloggerin werden. Um die Welt cruisen und überall die lokale Küche erkunden – und darüber schreiben. Ja. Darüber denken wir dann nach Corona nochmal nach. Wenn wir eine klimaneutrale Möglichkeit der Umsetzung gefunden haben.
Diese Option fühlt sich amüsant an, aber nicht besonders realistisch. Nun ja. Muss ja nicht immer alles auch umsetzbar sein.
Nach fast zwei Stunden Tetralemma und Auf-Blättern-stehen habe ich mir auf jedem Blatt die Dinge notiert, die mir dazu einfallen und die ich nicht vergessen möchte. Eine endgültige Entscheidung habe ich nicht getroffen. Muss ich ja aber auch noch gar nicht. Ich habe noch drei Monate Zeit. Und wenn ich noch länger brauche, ist das auch in Ordnung. Auch das habe ich heute akzeptiert.